Antwort auf den Beitrag „Äh, wie nun?“

Auf zeit.de war am 14. Mai 2016 folgender Anriss zu lesen:

Kann Apple Music die Musiksammlung auf der Festplatte löschen? Das behauptete ein Nutzer. Möglicherweise steckt bloß ein seltener Softwarefehler dahinter.

Möglicherweise steckt bloß ein seltener Softwarefehler dahinter. Der Satz ist falsch in mancherlei Hinsicht.

Wenn mir ein Journalist „möglicherweise“ bietet, sagt er damit möglicherweise:

„Ich weiß es nicht, und ich war zu faul zu recherchieren.“

Wenn der Journalist „bloß“ schreibt, bagatellisiert er den Sachverhalt, er schaltet sich ein, er wertet. Das mag er von mir aus tun, aber dann gehört auch dazu, ob der, dem die Musiksammlung gelöscht wurde, das Ereignis ebenfalls abtut.

Wenn der Journalist schreibt „ein seltener Softwarefehler“, hat er eine gewaltige Transferleistung begangen, die genauso gewaltig misslang: Er nahm Anlauf in der Medizin und landete im Unfug.

So, stelle ich mir vor, ist’s geschehen

Ein Journalist auf Streifzug durchs Internet. Er stößt auf die Nachricht: „Musiksammlung gelöscht! Möglicherweise ist das Programm Apple Music schuld daran.“  Er schreibt die Meldung um und widmet sich zum Schluss dem Anriss, dem Teaser. Der Anriss soll, sein Name sagt es, andeutungsweise mitteilen, worum es im Artikel geht. Und weil da draußen noch zig Trillionen andere Artikel darauf warten, gelesen zu werden (die Konkurrenz ist zahlreich), muss der Anriss plakativ sein, eine Art Ausruf „Mensch, haste schon gehört?“

Um plakativ zu sein, nutzen Journalisten Stilmittel. Zum Beispiel die Frage. „Kann denn Liebe Sünde sein? Bill Clinton bittet Monica Lewinsky um Verzeihung.“ Zum Beispiel die Verdrehung. „Die Stadt Passau ist eine Schuldner-Hochburg“. Zum Beispiel die Ironie. „Kreuz des Südens“ titelte die Zeitschrift Spiegel zu einem Foto, das den damaligen Kanzler Helmut Kohl von hinten zeigte.

Unser Journalist nutzt das Rätsel, das Mysterium. „Möglicherweise … selten … Software … Fehler“ raunt er uns entgegen. Wahrscheinlich hat er mal gehört, dass Computerprogramme gestört, ja zerstört werden können: durch Viren genannte Codes. Virus, da befinden wir uns auf medizinischem Terrain. Und hier gilt die über den Daumen gepeilte Einschätzung: Ein Virus ist umso gefährlicher, je seltener er ist.

Seltene Viren, die gibt es also, genauso wie es Viren gibt, deren Zahl unermesslich ist. Unser Journalist springt vom medizinischem Virus zur Software (seine Transferleistung) und behauptet, es gäbe einen „seltenen Softwarefehler“. Vielleicht tanzt noch die über den Daumen gepeilte Einschätzung in seinem Hinterstübchen, dass selten gleich gefährlich ist. Ihm entgeht der Unfug, den er damit lostritt.

Eine Software ist einmal, will sagen, ein einziges Mal: Word ist Word und Quark ist Quark. Wenn ihr ein Fehler innewohnt, tritt der innerhalb dieser einen Software auf – egal, ob die nur einmal genutzt wird oder ihre Klone auf tausenden Computern werkeln. Der Fehler ist also da, niemals aber ist er selten. Falls der Journalist ängstigen wollte (oder besser: dramatisieren), warum rudert er im selben Atemzug zurück und schreibt bloß ein seltener Fehler? Ist er vielleicht wieder zurückgesprungen in die Medizin und will seinen Patienten trösten bzw. seine Leser beruhigen? „Mensch! Bloß keene Panik. Der Virus is’ so selten – unwahrscheinlich, dassde eenen kriegst!“

Um es kurz zu machen: Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass mir diese Art von Unaufmerksamkeit gegen den Strich geht. Nicht weil ich pedantisch wäre, sondern weil ich fürchte, dass das, was Konfutius gesagt hat, nicht mehr ernst genommen wird.

Ich wünsche euch eine gute Zeit!

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