Adjektive oder „Die Faulheit von uns Schreibern“

Adjektive sind was Feines. Sie dienen der Charakterisierung, also der näheren Bestimmung („ein fröhlicher Gast“, „eine weiche Hand“), und sie sind hilfreich bei der Unterscheidung („das gelbe Kleid – nicht das grüne“).

Adjektive werden wegen ihrer Fähigkeit geschätzt, Lebewesen, Gegenstände und Handlungen zu illustrieren.

Adjektive: nicht nur hilfreich

Die Kehrseite der Medaille: Adjektive ersparen, zumindest vordergründig, die Mühe der genauen Beschreibung. Das wiederum bedeutet Zeit„gewinn“, weswegen sie gerne von denen verwendet werden, die viel schreiben. Also zum Beispiel von Journalisten.

In diesem Beitrag geht es um eine Überschrift im Anzeigenblatt Am Sonntag, das wöchentlich in Passau an die Haushalte verteilt wird, genauer: um eine Überschrift, die in der Ausgabe 53 vom 30. Dezember 2012 erschien.

„Sinnloser Mord“ hat er in dieser Ausgabe auf Seite 8 geschrieben, der Redakteur, und mit diesen zwei Wörtern sein Verhältnis zur deutschen Sprache offenbart, zu seinen Lesern und vielleicht sogar das zu seinem Arbeitgeber.

Wozu sind Adjektive gut?

Adjektive dienen der Charakterisierung und der Unterscheidung. Der Redakteur charakterisiert einen Mord als „sinnlos“, was sofort die Frage auslöst, wo wir denn von den vielen „sinnvollen“ Morden lesen können?

Auch unter dem Aspekt der Unterscheidung stellt sich die Frage: Wogegen soll hier unterschieden werden? Gegen den grausamen Mord? Den brutalen? Den heimtückischen?

Wer einen Mord „sinnlos“ nennt, glaubt, dass es sinnvolle Morde gibt. Hat das der Redakteur ausdrücken wollen? Sicherlich nicht. Was also hat er ausdrücken wollen?

Adjektive: Hirngespinste der Journalisten
Vielleicht wollte er sagen, dass wir in Angesicht eines Mordes an der Sinnhaftigkeit der Tat zweifeln und dass die Hinterbliebenen sogar verzweifeln mögen. Doch weil wir nicht in der Lage sind, den Sinn dieses Grauens zu sehen, zu benennen und zu beschreiben, heißt es nicht, dass wir einen Mord als sinnlos bezeichnen dürfen. Denn sofort, siehe oben, entsteht die Suche nach den „sinnvollen“ Morden – die es nicht gibt. Von schwierigen Ausnahmen wie dem Mord am Tyrannen mal abgesehen. („Schwierig“ im Sinne von „nachvollziehbar“ oder „diskussionswürdig“.)

Das aber bedeutet: Der Redakteur will mit diesem Adjektiv Stimmung machen. Der Redakteur nutzt die Verzweiflung der Angehörigen, die ihm ob des Adjektivs zunicken werden; er zieht die Leser auf seine Seite, fordert ihre Solidarität ein, statt zu beschreiben, was diese Tat ist.

Fazit
Sein Verhältnis zur deutschen Sprache habe der Redakteur offenbart, habe ich geschrieben, und das zu seinen Lesern und vielleicht sogar zu seinem Arbeitgeber.

Auf der Basis einer Gesellschaftsnorm, die den Mord ächtet, ist der Begriff „sinnloser“ Mord Nonsens, das hat der Redakteur vergessen.

Als reines Adjektiv ist „sinnlos“ unangebracht, denn es insinuiert den „sinnvollen“ Mord. Das hat der Redakteur nicht bedacht.

Mit seiner Formulierung „sinnloser Mord“ begibt sich der Redakteur in den Dunst über den Stammtischen; er empört sich, er macht Stimmung. Genau das, so kann ich mir vorstellen, war die Absicht, die den Redakteur geleitet hat, als er vom „sinnlosen“ Mord schrieb. Mit der hingeworfenen Formel aus dem Textbaukasten des Journalisten glaubt er sich auf der Seite des „Boulevard-Journalismus“ – und merkt nicht seinen Irrtum.

Der Redakteur demonstriert ein nachlässiges Verhältnis zur deutschen Sprache. Er gibt vor, als sei er auf der Seite seiner Leser, und seinem Arbeitgeber gegenüber zeigt er, was er von seinem Job hält: wenig, denn sonst hätte er sich mehr Mühe gegeben.

Bliebe vielleicht der Einwand, er habe keine Zeit gehabt, der arme Poet. Dazu aber hat Wilfried Seifert vom ORF bereits alles gesagt, was gesagt gehört: „Wer Fehler mit Eile entschuldigt, ist in diesem Beruf so fehl am Platz wie ein Notarzt, der nicht gern unter Zeitdruck arbeitet.“

Vielleicht hat Seifert dabei nicht an den Einsatz von Adjektiven gedacht, ausschließen jedoch lässt es sich nicht.

Viel Spaß – und eine gute Zeit!

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