Zum sechsten Todestag von Horst Stern

Bemerkungen über einen Großen

Ich mag sie gar nicht hören, nicht lesen wollen, die Nachrufe, die jetzt kommen werden von sich berufen fühlenden Managern und Managerinnen der Fernsehlandschaft. Ich fürchte die Elogen, die hingebogen werden bis zur Peinlichkeit, an Horst Stern sehe man doch, was Fernsehen alles könne und bewirke.

Mag sein, dass die Erinnerung malt mit goldenem Pinsel und so …, mag sein, dass Lebenszeit verklärt; aber das allein ist es nicht, keinesfalls. Über die Jahrzehnte hinweg habe ich seine, Horst Sterns Stimme in mir gehabt – die Stimme, an der man nicht vorbeikommt, weder am Sound noch an dem, was sie vortrug. Er fehlt mir, ach! mir fehlen solche Menschen. Obwohl … es gibt, Gott sei Dank!, noch einen Georg Schramm, einen Hagen Rether, einen Thomas Fischer, auch wenn sie nicht immer das ihre zur Evolution beitragen; nur eine Frau will mir momentan nicht einfallen, da wären Hilfe und Hinweis nett.

Bemerkungen über ein Stern-Buch

Horst Stern starb am 17. Januar 2019 nahe Passau, er wurde 96 Jahre alt, ein mich seltsam dünkendes Lebensalter. Im Roman »Irgendwo in Tibet« spricht der Mönch, der vierhundert Jahre und mehr auf der Erde weilt, genau weiß ich das nicht mehr, zu lange ist es her, dass ich das Werk gelesen habe und eingesogen; es sagt also dieser Mönch: Mit hundertsechzig sei ihm bewusst geworden, es gebe für ihn keinen Grund zu sterben. (Möglich auch, dass er meinte, es gäbe für ihn keinen Grund zu sterben, auch das weiß ich nicht mehr genau zu erinnern.)

Ähnlich ging es mir mit Stern.

Horst Stern und die Geilheit des Sex im Mittelalter

Vielleicht lag es daran, dass er in einer eigenen Zeit zu leben schien, zu werken und zu wirken, was bei ihm innigst verknüpft war: Sein Werken (sein Schreiben und Filmen) war zugleich Wirken. Wer sich Stern zuwandte, verzichtete darauf, etwas gesehen zu haben oder gelesen zu haben; immer musste es heißen, ich habe hinzugewonnen.

Jeder Satz, ob gesprochen oder geschrieben, strotzte vor Kraft und Meinung – Meinung, die sich aus Wissen speiste, und Wissen, das auf Fakten fußte. Was er über die Biene anmerkte, was er von der Spinne über die dreikanalige Fernsehwelt in die gute Stube der Deutschen brachte und schleichend in deren Köpfe und Herzen, es war ein abrupter und nicht abzuschüttelnder Perspektivwechsel.

Wer einmal beim Lesen schlichte Geilheit spüren möchte, ohne pornografisch provoziert zu sein, der mache sich auf den Weg und lese Mann aus Apulien – Friedrich II, römisch-deutscher Kaiser. Sorgsam eingebettet in die autobiographisch atmende Lebenserinnerung, schlummern dort Absätze, die mit wenigen Worten die Wucht hinaushauchen des brückenbauenden Triebs.

Mit welch dünnsuppig daher schwimmenden Armseligkeiten, mit welcher Geschwätzigkeit sich doch ChatGPT hinausdrängelt in die übervolle Welt von »Information« und Mitteilungsbedürfnis im direkten Vergleich zu den Stern-Stunden!

Ich lese gern und viel. Wenn mir des Vielen zu viel wird, wenn mir der Stapel am Bett so hoch erscheint wie gleichsam dürftig, wenn Innen und Außen der Bücher, ihr Gewicht und Gehalt disparat zu werden drohen, raffe ich mich auf und lese im Mann aus Apulien; das klärt, es strengt an, es erfrischt.

Zur Nachahmung herzhaft empfohlen!

Und wer’s lieber bewegt mag: Auf YouTube finden sich einige von Horst Sterns Stunden.

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