Es geschieht immer wieder, und es ist ein ärgerliches Phänomen: Man hört sich nicht zu beim Schreiben.
Zuhören? Beim Schreiben?
Gut, ich kann es natürlich auch »geringe Aufmerksamkeitsspanne« nennen oder »im Eifer des Gefechts« oder »Kollateralschaden« – läuft alles auf dasselbe hinaus: Rasch hat man diesen Fehler produziert und muss sich ärgern, weil man’s im Grunde ja besser weiß, aber nur eben nicht aufgepasst oder, wie ich es sage: sich selbst zugehört hat beim Schreiben.
Der Fehler und die Auflösung. Aber zunächst noch einmal das Bild aus der BILD
Folgendermaßen lautet der Text zum Foto:
- Ende 2020 widmete die »Tagesschau« seinem langjährigen Chefsprecher Jan Hofer (74) zur Verabschiedung einen eigenen Beitrag.
Und nun die Auflösung: Die Tagesschau ist weiblich – es muss also heißen:
- Die »Tagesschau« widmete ihrem Chefsprecher …
Die Grammatik nennt das einen Kongruenzfehler: die Nichtübereinstimmung von grammatischen Merkmalen zwischen zusammengehörenden Satzteilen.
Dieser Fehler tritt auf, wenn die grammatischen Eigenschaften wie Kasus (Fall), Numerus (Zahl) und Genus (Geschlecht) nicht korrekt abgestimmt sind.
Wie es zu diesem Fehler kommt. Ein Verdacht.
Es heißt zwar der Chefsprecher, aber es heißt die Tagesschau.
Und Nanosekunden vor dem Moment, in welchem die Journalistin das Wort »Chefsprecher« schreiben will, blättert das Reservoir der inneren Grammatik auf, es erklingt das Geschlecht des jetzt folgenden, noch zu schreibenden Wortes in ihrem inneren Ohr, und sie schreibt: der! Bzw. seinem.
Sie hört sich nicht zu beim Schreiben, sonst würde noch die Tagesschau nachhallen und signalisieren: Du musst jetzt das Geschlecht wechseln! Oder besser anpassen – eben kongruent formulieren.
Fun Fact 1
Es zählt zu den hochnotpeinlichsten Erlebnissen, wenn man das, was man kritisiert, selbst nicht im Griff hat; ganz so, als ob man nicht beherrsche, was man beherzigt wissen will.
»Die BILD ist eine der stilistisch prägnantesten Medien im deutschsprachigen Raum – inklusive ordentlicher Orthografie und Grammatik«, hatte ich geschrieben. Vollkommener Quatsch natürlich, denn auch hier muss es nach den Kongruenzregeln heißen: »… ist eines der stilistisch … usw.
Ich habe gepatzt, Schande über mein Haupt. Anne H. hat mich auf Facebook auf den Fehler hingewiesen. Danke dafür, Anne!
Fun Fact 2
Jan Hofer, von dem im Bild-Artikel die Rede ist, trat Mitte der Achtziger im Saarland als DJ auf, als Diskjockey. In öffentlichen Veranstaltungen legte er Schallplatten auf (das Angebot an CDs war zu der Zeit dürftig), und ich gehörte damals zu dem Trupp an Männlein, der die Technik bereitstellte. In dieser Phase meines Lebens verdiente ich einen Gutteil meines Geldes in der Beschallungsbranche.
Danke an alle Zuschriftenden! (Wie ihr seht, hab ich’s nicht so mit dem Gendern.) Ich hoffe, ich stoße recht bald erneut auf einen Missgriff, der es wert wäre, als Rätsel publiziert zu werden. Wer möchte, wirft einen Blick auf die bisherigen Rätsel.
Dieses Mal gewonnen hat Andre T., dem ich ganz herzlich gratuliere! Schau in dein Postfach, Andre!