Kluftinger, Erntedank und des Kaisers neue Kleider. Eine Betrachtung

Im Schwarzlicht fluoreszierende Poster waren bei uns Jugendlichen begehrt. Auf dem Poster über meinem Bett, ich war 14, funkelte: „Fresst Scheiße! 10 Millionen Fliegen können nicht irren.“

Kluftinger und die 4,5 Millionen Fliegen

Nun, im Fall des Autorenduos Michael Kobr und Volker Klüpfl geht es nicht um zehn, aber immerhin um mindestens 4,5 Millionen verkaufte Bände aus der Krimireihe um Kommissar Kluftinger. Die Verkaufszahlen wecken Begehrlichkeiten: Außer dem im Allgäu ermittelnden Kommissar sind rasend schnell Krimis auf und in die Verkaufsregale gekrabbelt, die allesamt ein Siegel tragen, das mittlerweile schon per se als „Qualität“ gilt: der Regionalkrimi.

Regional ist keine Nische

Dieses Siegel scheint mir eine Phrase aus der Abteilung „Wir-stellen-24-jährige-Windeier-mit BWL-Abschluss-ein – Ahnung nicht erforderlich“, sprich: ein Marketinginstrument zu sein. Warum Phrase? Fast schäme ich mich, es zu sagen, so billig muss doch die Erkenntnis lauten: weil es einfach weltweit keinen Krimi gibt, der auf Lokalkolorit verzichtet, ja verzichten kann. (Nachtrag am 17.10.2014: Auch Dominik Graf argumentiert so. Der deutsche Regisseur verweist im ZEIT-Interview auf die Bedeutung der jeweiligen Stadt für die Krimis: Sie bestimmten, sagt Graf, die Handlung.)

Ein Einschub

(Jetzt, an dieser Stelle, und bevor ich es vergesse, kommt der obligate Satz, den ich für im Grunde überflüssig halte, aber doch für so erforderlich wie jenen aus der Werbung, du weißt schon: Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker; bei mir lautet der Satz:

„Lieber Gott, ich schwöre! Ich gönne Klüpfel und Kobr ihren Erfolg – ich freue mich für sie! Ich freue mich nämlich für jeden, der vom Schreiben leben, ja sogar gut leben kann!“

Bei aller Freude glaube ich nur, und ich denke, das hast du schon herausgefunden, ich glaube also, dass KlüKo, wenn ich die mal aus Gründen der Bequemlichkeit so zusammenfassen darf, Fliegennahrung produzieren.)

Jetzt willst du vielleicht wissen, warum ich das glaube. Und das kam so.

Kluftinger find ich doof

Ein Kollege aus der Zunft der Journalisten hatte auf Facebook angedeutet, wie viel Spaß er bei der Lektüre der „Kluftis“ hat; und natürlich war auch mir der Stapel KluKlüKo-Bücher bei Thalia und Pustet aufgefallen (KluKlüKo = KluftingerKlüpfelKobr-Bücher, was mir jetzt zu lang erscheint und ich deswegen ab sofort ‚Klykol‘-Bücher schreibe; die Ähnlichkeit zum Frostschutzmittel ist nun eher zufällig, aber erwärmt hat mich der Band „Erntedank“ wirklich nicht. Zurück zum Thema).

Als ich nun kürzlich einmal ganz besonders lieb zu meiner Frau gewesen bin, brachte sie mir als Dankeschön aus besagtem Thalia besagtes Klykol-Buch „Erntedank“ mit. Das hat mich sehr gefreut.

Gefälligkeitsrezensionen?

Die Freude hielt bis Seite 88, und ich bezweifle, dass ich weiterhin Lebenszeit mit dem Buch verbringen werde. Kluftinger, der Kommissar, hat meine Sympathien nicht. Ich will dir sagen, woran das liegt.

Kluftinger wird allgemein als „menschlich“ beschrieben (Wikipedia), als „liebenswert eigenwillig“ (Vanity Fair), als „Columbo von Altusried“. Mir erscheint das wie des Kaisers neue Kleider: Irgend jemand hat „Bravo“ gerufen, nun traut sich keiner mehr zuzugeben, dass Kluftinger in Wahrheit dürftig ist und nicht mal wirklich spaßig.

Kluftinger und seine Schwächen

Kluftinger hat Schwächen, sehr menschliche Schwächen. Er liebt Kässpatzen, er liebt den „abendlichen“ halben Liter Bier, er liebt den Wurstsalat seiner Frau Erika, so viel habe ich herausgefunden.

Sein zweiter Schwachpunkt: Kluftinger hat einen empfindlichen Magen. In Erntedank zum ersten Mal auf Seite 16, was eigentlich die Seite 6 ist, wenn du dir Titel und Impressum undsoweiter wegdenkst: „Kluftingers Magen krampfte sich zusammen“. Auf Seite 20: „Eigentlich krampfte sich sein Magen so stark zusammen, dass …“ Auf Seite 47 knurrt sein Magen wegen einer Schale Müsli, die ihm wenige Zeilen später eine Gänsehaut bereitet; auf Seite 49 fühlt er sich unwohl, auf Seite 50 verschwindet er für eine Viertelstunde auf der Toilette, auf Seite 62 wird ihm ganz flau im Magen, auf Seite 76 will er „seinen Magen zumindest ein wenig besänftigen“ – kurz gesagt: ein intestinaler Overkill, der einem rasch auf den Wecker fällt, weil er so plump beschrieben wird und variationsarm.

Versuch einer Rechtfertigung

Ich will nicht ungerecht sein: Auf Seite 58 ist die Rede von Kluftingers „Pathologie-Phobie“. Vielleicht soll das die Sache mit dem schwachen Magen erklären, aber das geht nach hinten los: „Phobie“ bezeichnet eine im klinischen Sinne Angst bzw. Furcht; soll ich mir jetzt einen psychisch kranken Kommissar vorstellen? Selbst wenn die Floskel ironisch gemeint ist, zeigt sie doch, dass KlüKo ihre Hauptperson nur sehr oberflächlich in Schutz nehmen, ja, ihn sogar dem Spott seiner Umgebung preisgeben, ohne dass Klufti sich auch nur ansatzweise zur Wehr setzt: Klufti weicht aus, er schaut weg, er geht in den Wald, sucht in seinen Hosentaschen zur Ablenkung, stürzt aus dem Zimmer, rast zur Toilette … Klufti handelt nicht, er kneift, er drückt sich. Find ich nicht gut, find ich, wie gesagt, fliegennahrungsproduktionsmäßig.

Der schwache Magen ist es nicht allein

Neben seiner Magenschwäche beherrscht Planlosigkeit unseren Kommissar Kluftinger. Als er die Sekretärin des Mordopfers im Büro besucht, handelt er dumm, und er behandelt sie vollkommen unnötig brutal (das heißt: unnötig für die Handlung). Er wedelt mit einem gefälschten Durchsuchungsbeschluss – Hefele, sein Assistent kennt sich ganz offensichtlich ebenfalls nicht aus mit den Vorschriften. Hier werden Figuren dümmer gezeichnet, als die Polizei erlaubt (ha, der war jetzt gut, gell?), hier werden Fehler begangen, die einem Colombo nie unterlaufen würden.

Im Umgang mit Erika, seiner Frau, fehlt Klufti offensichtlich jegliches Konzept. Seine Haltung pendelt zwischen lustlos, desinteressiert, verängstigt, unterwürfig. Aber einmal wird es sogar ihm zu viel und er muss sich zur Ordnung rufen, als es ihm auffällt. Und wie macht er das? Seite 37: „Reiß dich zusammen!, schrie er sich in Gedanken an.“

Schrie, das ist vielleicht originell, aber auch hier: overkill! Ein einfaches „Rufen“ wäre mehr als ausreichend gewesen. Dass seine Frau ihn im nächsten Satz zu einem Kleinkind degeneriert, ist sprachlich grenzwertig, wenn nicht gar falsch. „Degenerieren“ heißt „sich(!) zurückentwickeln“ – jemand anderen degnerieren geht nicht.

Kluftinger: ein Fall für die Sprachpolizei

Seite 42 beginnt mit dem Satz: „Früh am nächsten Morgen wurde er wach.“ Gott sei Dank! habe ich da gerufen; wäre doch blöde, wenn Klufti zwischen Ende Seite 41 und Anfang Seite 42 gestorben wäre, ohne dass wir Leser es mitbekommen hätten. Der Satz muss richtig lauten: „Am nächsten Morgen stand Kluftinger früh auf …“ (so wie auf Seite 88 – geht doch!)

Am schlimmsten aber, ja geradezu peinlich, die Dialoge.

„Du, da geht kein Wasser!“, rief Erika.
„Was? Gibt’s doch gar nicht. Schau doch mal im Bad.“
„Schau du doch mal, bitte.“

Als ich diese Zeilen gelesen hatte (Seite 12), wusste ich, dass wir niemals würden Freunde werden, der Klufti, die Klykol-Bücher und ich: Die Dialoge sind spritzig wie vierzehn Tage offene Cola. Aber hier zeigt sich auch exemplarisch das Dilemma und, wie ich vermute, der Grund für den Erfolg der Klufti-Reihe: Kommissar Kluftinger ist banal! Kommissar Kluftinger führt ein banales Leben! Kommissar Kluftinger agiert banal, hat banale Gelüste, banale Ansichten, zeigt banale Reaktionen. Kurz und um ein vernichtendes Urteil über Klufti zu fällen: Klufti ist wie du und ich!

Kluftinger und die 4,5 Millionen Fliegen

Ist das nun schlimm? Von wegen – es beruhigt ungemein, sag ich dir! Wenn ein „Held“ so wenig Held ist wie du und ich, aber trotzdem irgendwie erfolgreich, dann taugt das doch hervorragend zur Identitätsstiftung.

Schluss und endlich

Stellt sich halt nur die Frage, wieso Klufti das Licht der Welt erblicken durfte? Gab’s im Verlag etwa keinen Kampf zwischen Lektor und BWL-Studenten? Gab es überhaupt einen Lektor? Und ich meine Lektor, nicht Korrektor.

Ich wiederhole: Zu Risiken und Neben… nein, Entschuldigung, der Satz lautet ja so:

Lieber Gott, ich schwöre! Ich gönne Klüpfel und Kobr ihren Erfolg – ich freue mich für sie!

Ich fürchte nur, mir werden in Zukunft bei den Klykol-Dingensdongens die Fliegen nicht mehr aus dem Sinn gehen und des Kaisers neue Kleider.

Viel Spaß – und eine gute Zeit!

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